Aus Spiegel.de:

Martina Wing aus Wuppertal fotografiert nachts vor Hawaii Tauchgänge für Touristen. Sie will ihnen die Welt der Riesenrochen näher bringen. Und dann tauchen die Tiere plötzlich im Dunkel des Meeres auf.

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Fotos James Wing

Stockdunkel und still ist es auf dem Meeresgrund, nachts vor Big Island, Hawaii. Nur ein paar Scheinwerfer lassen die Neoprenanzüge der Taucher glänzen. Sie drehen ihre Köpfe nach links, nach rechts, sehen jedoch nichts außer tiefes Schwarz.

Plötzlich ist da ein riesiger Fisch. Er gleitet durch einen Lichtkegel und steuert geradewegs auf die Taucher zu. Er schlägt seine flügelartigen Flossen, beschleunigt, dann reißt er weit das Maul auf, zeigt seinen Schlund, als wolle er den Menschen vor sich verschlingen.

Erst im allerletzten Moment dreht der Mantarochen ab – so spät, dass er mit dem Bauch noch den Taucher streift. Elegant steigt er auf zur Wasseroberfläche, verfolgt vom Licht der Scheinwerfer und Taschenlampen. Von hier unten sieht die Silhouette aus wie das Fledermauslogo von „Batman“.

Kurz darauf kreisen zwei, drei, vier solcher Silhouetten in der Keauhou-Bucht vor Hawaiis größter Insel Big Island. Vier Weibchen, alle zwischen zwei und zweieinhalb Meter breit und mindestens 300 Kilogramm schwer, schweben nun mit ihren breiten Brustflossen um etwa 30 Taucher herum.

Sie drehen Loopings im Wasser, zeigen ihre gemusterten Unterseiten und öffnen ihre Mäuler, sobald sie die Lichtkegel einer Taschenlampe sehen. Die Tiere haben gelernt, dass sie Futter finden, wo Licht ist. Martina Wing filmt alles mit ihrer Unterwasserkamera.

Wildlife-Fan aus Wuppertal

Die Touristen sitzen schon trocken in den Booten, als die Fotografin und Videofilmerin an die Wasseroberfläche kommt, begleitet von zwei Mantadamen, die Kreise um sie drehen. „Isn’t this amazing?“, ruft die 49-Jährige mit deutschem Akzent, als sie sich die Bootsleiter hochzieht. „A natural wonder!“

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Video James Wing

Martina Wing wirkt, als habe sie gerade zum ersten Mal in ihrem Leben mit Mantas getaucht. Dabei hat die gebürtige Deutsche schon mehr als 4000 Mal die Riesenrochen der Keauhou-Bucht erlebt, fotografiert, abgefilmt. Das ihr Beruf. Und irgendwie noch viel mehr als das.

„Manta Woman“ nennen Einheimische die Frau aus Wuppertal, die vor 18 Jahren als Touristin nach dem Tod ihres Mannes herkam – und für immer hier blieb. Wing hat sich nicht nur als Fotografin der seltenen Tiere einen Namen gemacht. Sie ist auch die oberste Beschützerin der Mantas. Die von ihr gegründete Umweltinitiative Hawaii Ocean Watch setzt sich für einen nachhaltigeren Umgang mit den Riesenfischen und strengere Regeln für Bootsbetreiber ein. Denn Manta Watching wird immer mehr zum Massensport in der Keauhou-Bucht.

Fünf Meter Spannweite: die dicke Bertha

Ein Zufall hat die Tiere hierhergebracht. Genauer gesagt, die Scheinwerfer, die die Manager des nahegelegenen Sheraton-Hotels abends aufs Wasser richten – für den romantischen Meerblick. Das Licht lässt mikroskopische Organismen besonders gut gedeihen: Plankton, das Hauptnahrungsmittel der Mantas.

Ohne das Futter kämen die teils mehr als 700 Kilogramm schweren Tiere nicht in die Keauhou-Bucht. So aber entzücken sie fast jede Nacht die Taucher und Schnorchler: allen voran „Big Bertha“, mit fünf Metern Spannweite die größte regelmäßige Besucherin des Küstenstreifens und Liebling der Touristen.

Keine fünf Touranbieter gab es 1998, als Martina Wing das erste Mal hier tauchen ging und sich rettungslos verliebte – zunächst in die Unterwasserwelt, dann in einen Manta-Fotografen, ihren heutigen Ehemann. Inzwischen gibt es 40 Veranstalter. In manchen Nächten drängeln sich an die 500 Touristen in der Bucht, als Schnorchler oder Taucher. Für die Mantas ist der Ansturm lebensgefährlich.

Etwa jedes vierte Tier, das regelmäßig in die Bucht kommt, hat Verletzungen, für die Menschen verantwortlich sind. Auch einem der vier Weibchen, die sich in dieser Nacht zeigen, fehlt die linke Vorderflosse. Vermutlich hat eine Bootsschraube sie abgehackt.

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Foto: Raphael Studer

„Manche Tourenanbieter sind verantwortungslos“, sagt Martina Wing. „Sie fahren einfach in die Bucht hinein, ohne genau Ausschau zu halten. Denen geht es nur ums schnelle Geld.“ Sie habe sogar schon Schiffe gesehen, die direkt unter der Schraube Lampen eingebaut hatten. „Das Licht zieht die Mantas an, und dann schwimmen sie direkt hinein in die Schraube.“

„Ein Wunder dieser Erde“

Schon vor Jahren haben die Umweltschützer gemeinsam mit einigen Unternehmen Standards für nachhaltiges Mantatauchen aufgestellt. Boote dürfen nicht einfach irgendwo im Riff ankern, das Personal muss die Gäste schulen, Unterwasserlampen müssen so angebracht werden, dass sie die Rochen nicht zur Schraube locken.

Tauchen oder schnorcheln?

Für den Mantatauchgang vor Hawaii genügt ein Open-Water-Zertifikat. Wer keinen Tauchschein hat, kann bei einigen Anbietern auch mit den Mantas schnorcheln. In dem Fall beobachtet man die Tiere von einer Art Floß – liegend, den Blick ins Wasser gerichtet. Weil unter dem Brett eine Lampe befestigt ist, kommen die Mantas auch den Schnorchlern nahe.

Aber etwa die Hälfte aller Anbieter missachte die Regeln und die Behörden seien überfordert, sagt Wing. Sie und ihre Mitstreiter haben nun eine Art Gütesiegel eingeführt: eine „Grüne Liste“, auf die nur Anbieter kommen, die sich an die Standards halten.

Aber kann es so etwas wie nachhaltiges Mantatauchen überhaupt geben? Oder sollte man die Tiere, von denen es weltweit vermutlich nur wenige Zehntausend Exemplare gibt, lieber ganz in Ruhe lassen? „Im Prinzip sind diese Tauchgänge okay“, sagt Anna Flam, Wissenschaftlerin der Marine Megafauna Foundation, die Mantas erforscht. „Den Tieren schadet das kaum, und für die Menschen ist es ein einmaliges Erlebnis, das ihre Beziehung zur Natur stärken kann. Aber es ist wichtig, dass den Mantas bei diesem Aufeinandertreffen nichts geschieht.“

Eben dafür kämpft Martina Wing. Sie hat sich einigen Ärger eingehandelt mit ihrer Hartnäckigkeit, wurde auch schon bedroht. Aber ihre Mantas sind es ihr wert: „Sie sind ein Wunder dieser Erde“, sagt sie. „Ich bin dankbar, dass ich das erleben darf.“ Sie will ihr Paradies nicht verlieren.

Quelle/Autor:  Claus Hecking / Spiegel.de

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